Zwischen Mitgefühl und Leiden an der Welt

Wie Jugendliche Krisen emotional verarbeiten

 

Die nachfolgenden Ergebnisse stammen aus vier Forschungswerkstätten, die im Herbst 2023 mit insgesamt 40 Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren durchgeführt wurden:

  • Gruppe 1 (SMV): Jugendliche aus München, die sich in der Schülermitverantwortung engagieren
  • Gruppe 2 (FJ): Feuerwehrjugend in einem oberbayerischen Dorf
  • Gruppe 3 (FA): Film-AG in Schwaben
  • Gruppe 4 (GK): 11. Klasse eines ländlichen Gymnasiums in Mittelfranken

Ergänzend sind in diesen Text Aussagen von Jugendlichen aus vier 10. Klassen eines Münchner Gymnasiums eingeflossen, die im Rahmen eines Filmprojektes (FP) ebenfalls mit uns über ihre Werte, Themen, Meinungsbildung und Teilhabemöglichkeiten gesprochen haben.

Zwischen Klima und Krieg

Klima-Krise, Krieg, Nahostkonflikt, Armut, Flucht, Rassismus, Homophobie oder die Abtreibungsgesetze in den USA – Jugendliche sind heute mit vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisen konfrontiert. Viele (Krisen-)Themen begegnen den Jugendlichen dabei online – auf Nachrichtenseiten oder im eigenen TikTok-Feed. Nicht selten werden Krisen dabei in Bildern oder Videos dargestellt; das Leid der Mitmenschen ist für die Jugendlichen sicht- und spürbar. Wie gehen die Jugendlichen mit dieser Herausforderung um? Wie verarbeiten sie Krisen emotional?

Bei vielen Jugendlichen lösen Krisen Emotionen aus. Sei es, dass sie sehen, welches „Leid“ (Malina, 16, GK), ein Krieg mit sich bringt, sie die „Angst“, nachvollziehen können, „wenn Menschen ihr Land verlassen müssen und aus Verzweiflung in Flüchtlingsboote steigen“ (Maxim, 16, GK) oder sie entwickeln Mitgefühl für Menschen, die durch einen Krieg „ihr Zuhause verlieren und flüchten müssen“ (Jella, 16, GK). Hinzu kommt ein Ohnmachtsgefühl – insbesondere beim Klimaschutz – selbst wenig ausrichten zu können. Die befragten Jugendlichen reagieren auf diese Gefühle auf zwei unterschiedliche Weisen: Sie versuchen, entweder den Nachrichten aus dem Weg zu gehen (Nichts sehen) oder sie wegzudrücken (Nichts spüren).

Nichts sehen – Nachrichten aus dem Weg gehen

Diese Jugendlichen wenden sich von gesellschaftlichen Themen ab und informieren sich nicht oder nur oberflächlich über gesellschaftliche Krisen. Sie schauen höchstens „einmal pro Woche in die Tagesschau-App, das reicht“ (Roland, 16, FP) oder nur dann, wenn es im Unterricht verlangt wird: „Freiwillig mache ich das nicht“ (Neo, 16, FP). Neo kritisiert an anderer Stelle, dass Konflikte (beispielsweise der Nahostkonflikt) nur einseitig bewertet und sich die Konfliktparteien oft nicht zuhören würden. Hinzu kommt, dass einige Jugendliche bereits durch ihren Alltag (Stichwort: Schulstress) sehr belastet sind.

Nichts spüren – mentale Gesundheit als Belastung

Wenn Gefühle wie Wut, Ohnmacht, Angst oder Trauer als Reaktionen auf die andauernden Krisen über einen längeren Zeitraum anhalten, hat dies Folgen für das gesundheitliche Wohlbefinden von Kindern[1] und belastet deren psychische Gesundheit. In allen Forschungswerkstätten sprachen die Jugendlichen über mentale Gesundheit – sei es die eigene oder über Menschen aus ihrem Umfeld. Sie sehen die psychischen Probleme von Gleichaltrigen als Folgen der aktuellen Lage und des Drucks, der auf Jugendlichen lastet – vom Erwartungsdruck des Elternhauses, der Schule bis hin zu gesellschaftlichen Erwartungen, dass sich die Generation der Jugendlichen um gesellschaftliche Probleme kümmern muss.

Bekannt ist einigen das Thema auch aus den sozialen Medien:

„Gerade auf TikTok ist das ganz, ganz viel so, dass es Seiten gibt, die nur über mentale Gesundheit reden, aber auch auf eine negative Art und Weise. Ganz oft versinkt man schnell darin, denn der Algorithmus zieht diese ganzen Probleme so an“ – Charlotte, 15, SMV.

Mara (19, SMV) hat ihre Gefühle zur eigenen mentalen Gesundheit in einer Collage verarbeitet (siehe Bild): Sie erlebt die Welt als „too heavy“ und verliert den Bezug zu sich selbst, wenn es ihr schlecht geht. Besonders wichtig ist es ihr zu zeigen, dass es „ganz viel mentales Zeug“ ist. Die Löcher in ihrer Collage drücken aus, „was man dadurch verpasst, wenn man mentale [Probleme] hat. Dass […] man andere Sachen erlebt. Dass einem halt einfach Sachen fehlen.“

Mit den Gefühlen allein?

Einige Jugendlichen fühlen sich mit der Aufgabe, die Krisen emotional zu verarbeiten, alleingelassen. Sie vermissen Erwachsene, die ihnen zur Seite stehen:

„Den Lehrern geht es nur darum, dass sie (…) bis zum Ende des Schuljahres fertig werden. Durch diesen ganzen Stress entstehen aber etliche psychische Krankheiten. Gefühlt interessiert sie das gar nicht. Das ist etwas, was mich wirklich aufregt. Dann wundern sie sich, was mit der Person passiert ist“ – Isabel, 15, FA.

Gerade wenn Eltern selbst überfordert sind oder sich „nicht kümmern“, braucht es laut der Jugendlichen andere „Ansprechpartner“, um zu verhindern, dass Kinder die Erfahrung machen, dass sich Personen abwenden, „sobald irgendein Kind, ein Mensch zeigt, dass er Probleme hat“ (Mara, 19, SMV). Gespräche mit anderen unterstützen es, Gefühle zu verstehen und die eigenen und fremden Gefühle einordnen und verarbeiten zu können[2].

Miteinander ins Gespräch zu kommen, kann auch helfen, Wege aus der Krise zu erkennen. Der 14-jährige Thies hat beispielsweise konkrete Lösungsvorschläge für Gleichaltrige, die mit ihrer mentalen Gesundheit kämpfen:

„Man könnte für Kinder Haustiere anschaffen, Kinder könnten öffentliche Dienste machen. Zum Beispiel Senioren mit Giggerln [Hühner] versorgen. Man könnte eine Woche auf dem Land verbringen, weil bei uns passt es ja“ – Thies, 14, FJ.

Um (persönliche) Krisen bewältigen zu können, braucht es nach Laurie Santos und Vivek Murphy zwei Dinge: Ein Gefühl der Verbundenheit, das durch Mitgefühl entsteht und das Gefühl nach Sinnhaftigkeit[3]. Beides hat Thies erkannt. Es geht also darum, Jugendliche dabei zu unterstützen Mitgefühl zu entwickeln und gleichzeitig diejenigen emotionalen Kompetenzen zu fördern, die ihnen helfen, ihre Gefühle zu verarbeiten, die durch mediale Bilder ausgelöst werden.

Emotionale Medienkompetenz: Wer gelernt hat, welche Medieninhalte welche Gefühle auslösen und wie diese Gefühle verarbeitet werden können, nimmt Krisen anders wahr und geht gestärkt durchs Leben.

  Literatur

[1] Reiß, F., Kaman, A., Napp, A.‑K., Devine, J., Li, L. Y., Strelow, L., Erhart, M., Hölling, H., Schlack, R. & Ravens-Sieberer, U. (2023). Epidemiologie seelischen Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse aus 3 Studien vor und während der COVID-19- Pandemie. Bundesgesundheitsblatt, 66, 727-235.

[2] Salisch, M. von & Vogelgesang, J. (2018). Entwicklungspsychologische Grundlagen der Empathiefähigkeit. BPjM aktuell(4), 9–12.

[3] Laurie Santos (11. Dezember 2023). Is there a Gen Z happiness crisis? Dr Laurie meets the US Surgeon General. The Happiness Lab. https://podcasts.apple.com/de/podcast/the-happiness-lab-with-dr-laurie-santos/id1474245040?i=1000637945808.

  Links

Podcast zum Umgang von Jugendlichen mit mentaler Gesundheit: https://podcasts.apple.com/de/podcast/the-happiness-lab-with-dr-laurie-santos/id1474245040?i=1000637945808.

  Zitationsvorschlag

Pfaff-Rüdiger, S., Eggert, S., Oberlinner, A. & Winter, C. (2024). Das bewegt uns – Zwischen Mitgefühl und Leiden an der Welt. Wie Jugendliche Krisen emotional verarbeiten. Herausgegeben vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Abrufbar unter: https://das-bewegt-uns.de/zwischen-mitgefühl-und-leiden-an-der-welt.de.
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