Forschungswerkstatt als Design-Thinking-Prozess

Mit Jugendlichen in den Dialog gehen, ihnen zuhören, herausfinden, was ihnen wichtig ist und was sie stört, gemeinsam kreativ sein und so ein Stück Selbstwirksamkeit zurückgewinnen.

Zuhören und sichtbar machen

Ziel des Projektes war es, mit Jugendlichen in den Dialog zu kommen und ihre Perspektive auf folgende Themen hör- und sichtbar zu machen:

  • Welche Werte, Emotionen und Bedürfnisse sind für Jugendliche in Bezug auf soziale Teilhabe bedeutsam?
  • Wie handeln sie Themen, die sie beschäftigen, (medial) aus?
  • Welche Teilhabemöglichkeiten nehmen Jugendliche (auch medienvermittelt) wahr?
  • Welche Risiken und Herausforderungen sowie Chancen sehen sie in der Beteiligung?
  • Und daraus abgeleitet:  Welche Bedarfe gibt es Jugendliche bei sozialer Teilhabe zu unterstützen?

Dafür sind wir den Jugendlichen dort begegnet, wo sie sind, und haben ihnen viel Raum gegeben, (über sich) nachzudenken, sich auszudrücken und gemeinsam kreativ zu werden.

Stimmen hören und aufnehmen: Wer war dabei?

Im September und Oktober 2023 haben vier Forschungswerkstätten mit insgesamt 40 Jugendlichen im Alter von 13 bis 19 Jahren stattgefunden:

  • Gruppe 1: Jugendlichen aus München, die sich in der SMV engagieren (Alter: 15–19 Jahre)
  • Gruppe 2: Feuerwehrjugend in einem oberbayerischen Dorf mit 400 Einwohner*innen (Alter: 13–19 Jahre)
  • Gruppe 3: Film-AG in Schwaben (Alter: 13–15 Jahre)
  • Gruppe 4: 11. Klasse eines ländlichen Gymnasiums in Mittelfranken (Alter: 15–17 Jahre)

Auswahlkriterien waren das Alter, der Wohnort Stadt (Gruppe 1 und 3) vs. Land (Gruppe 2 und 4) sowie unterschiedliche Beteiligungsformen. Die Forschungswerkstätten dauerten jeweils ca. vier Stunden.

Die Diskussionen in den Forschungswerkstätten wurden per Audio aufgezeichnet, transkribiert und anschließend gemeinsam mit den entstandenen Materialien mit Hilfe von qualitativen Methoden im Team ausgewertet. In die Auswertung sind darüber hinaus Ergebnisse aus den Praxisworkshops und einem größeren Filmprojekt mit vier 10. Klassen eines Münchner Gymnasiums eingeflossen.

Jugendliche ernst nehmen

Forschungswerkstatt am JFF meint „qualitative Erhebungsmethoden mit pädagogischer Projektarbeit verbunden“[1]. Es geht also darum, im Workshopformat und mit kreativen Methoden Anlässe zu schaffen, „bei denen sich Kinder mit Themen auseinandersetzen, eigene Perspektiven äußern und gemeinsam inhaltliche Fragen diskutieren und reflektieren“[2] und die anschließend systematisch ausgewertet werden. Es bleibt so mehr Zeit und Raum, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und ihre Sichtweise zu erfahren. Ziel war es dabei auch, durch einen kreativen Part am Ende der Forschungswerkstatt, die Jugendlichen zu ermutigen sich selbst als selbstwirksam und handlungsfähig zu erleben.

Mit Jugendlichen selbstwirksam werden: Design-Thinking als Workshop

Design-Thinking eignet sich als Methode, um (neue) Wege aufzuzeigen und selbst (wieder) ins Handeln zu kommen. Der Ansatz beschreibt eine „Arbeitsweise“, die komplexe Problemsituationen aufgreift und sich Lösungsansätzen „durch kreative, kommunikative und kollaborative Herangehensweisen“ nähert.[3] Der Design-Thinking-Prozess stellt dabei den Menschen (in diesem Fall die Jugendlichen) in den Mittelpunkt, ist klar strukturiert; offenere (ideengenerierende) Phasen wechseln sich mit konkretisierenden Phasen ab[4].

Design Thinking folgt dabei fünf verschiedenen Phasen:

  1. Verstehen (Empathie)
  2. Definieren
  3. Ideen finden
  4. Prototyp erstellen
  5. Testen

Wer bin ich? Werte, Bedürfnisse und Themen teilen

Design-Thinking beginnt in der ersten Phase mit der Empathie für die Nutzenden (vgl. Abb. X). Diese Discover-Phase bot den Jugendlichen die Möglichkeit, eigene Werte, Bedürfnisse und Themen zu erkennen, zu formulieren und sich auszutauschen. In den Forschungswerkstätten beschäftigten sich die Jugendlichen zunächst mit ihren Werten und wählten hierzu Bildkarten aus. Im Anschluss wurden gemeinsame Werte in (Klein-)Gruppen diskutiert: Was bedeutet der Wert für mich? Was bedeutet der Wert in der Gesellschaft? Wie zeigt sich der Wert in den Medien und wie leben wir diesen Wert?

In einer Kleingruppe der Gymnasialklasse wurde beispielsweise der Wert „Zusammenhalt“ diskutiert. Die vier männlichen Jugendlichen stellten dabei fest, dass

  • „egal ob (…) in der Familie, bei Freunden, in einer Sportmannschaft oder in der Schule“, Gemeinschaft etwas ist, was diese Kontexte zusammenhält (Andre, 17. GK) (persönliche Definition)
  • es in der Gesellschaft bedeutet, zunächst an andere zu denken und dann an sich. Dies sei aber bislang „nicht genug“ umgesetzt (Hannes, 16, GK) (gesellschaftliche Bedeutung)
  • sich beim Fußball zeigt, dass „man nicht gewinnen [kann], wenn die Mannschaft nicht zusammenhält“ (Emilio, 16, GK) (Wert im eigenen Handeln)
  • sich in den Medien erfahren lässt, dass man nichts erreichen kann, „wenn man alleine versucht“, gegen eine andere Gruppe im Internet anzukämpfen (Jannes, 17, GK) (Wert in den Medien)

Aktuelle persönliche und gesellschaftliche Themen wurden im Anschluss mit Post-its auf Plakaten gesammelt und diskutiert. Hier zeigte sich beispielweise, dass es den Jugendlichen leichter fällt, persönliche Themen zu nennen als gesellschaftliche, dass die gewählten gesellschaftlichen Themen stark von aktuellen politischen Ereignissen wie der Landtagswahl geprägt waren und politische Themen bei der SMV-Jugend zu persönlichen Themen wurden.

Meinungsbildung mit den Füßen

Ein Positionierungsspiel lieferte im nächsten Schritt Aufschluss darüber, wo und wie sich die Jugendlichen informieren und sich eine Meinung bilden. Die Jugendlichen mussten sich dabei zu Äußerungen im Raum positionieren. Im Anschluss wurden die Aussagen diskutiert. Beispielaussagen waren hier:

  • Ich informiere mich online über politische Themen.
  • Ich bilde mir meine eigene Meinung, dazu brauche ich keine Medien.
  • Ich bin zufrieden damit, wie ich meine Meinung zu gesellschaftlichen Themen äußern kann.

So zeigte sich schnell, wer sich neben sozialen Medien noch mit klassischen Medien informiert und wie schwer es Jugendlichen zum Teil fällt, ihre Meinung (online) zu äußern.

(Kreative) Lösungen finden

Die Phasen Definieren und Ideen finden fand im Anschluss in einem Paar-Interview statt. Diese 1:1-Situation half den Jugendlichen nach dem offenen Einstieg zu überlegen, was genau sie persönlich bewegt und öffnete gleichzeitig das Gespräch für kreative Lösungsideen. Das Besondere dabei ist, dass die Ideen dabei vom Gegenüber kommen und so auch innovative Ideen und Verbundenheit entstehen. Hier wurde noch einmal die Vielfalt an Themen deutlich, die die Jugendlichen beschäftigt, von nachhaltiger Mode, über den Hunger auf der Welt und Armut, Rassismuserfahrungen bis hin zur Frage, ob es der eigenen Mutter gutgeht. Auch die Lösungsideen deckten eine Bandbreite ab, von der alleinigen Verantwortung des Staates bis hin zu konkreten ersten Schritten, wie die Jugendlichen Themen wie Schulstress oder mentale Gesundheit angehen können.

Danach setzten sich die Jugendlichen mit Hilfe einer 2×2-Felder-Matrix mit möglichen Beteiligungsformen auseinander und gewannen so noch einmal Umsetzungsideen. Sie hatten die Aufgabe, im Plenum Beteiligungsformen danach zu bewerten, wie aufwändig und wie wirksam sie diese einschätzten. Auf einem Plakat visualisiert, war spannend zu sehen, wie Beteiligungsformen wie „Ein Meme gestalten“, „Wählen gehen“ oder „Engagement in der Schule“ auch im Vergleich zueinander abschnitten.

Ich werde selbst(wirksam) kreativ

Kreative (Medien-)Arbeit diente abschließend dazu, prototypische Lösungen zu finden bzw. die eigene Perspektive und Haltung zu visualisieren, auszudrücken[5] und sich hörbar zu machen. Den Jugendlichen wurden dabei viele unterschiedlichen Materialien angeboten, vom Arbeiten mit Tablets, um TikTok-Videos zu drehen oder Memes zu gestalten bis zu haptischen Kreativmethoden wie der Gestaltung von Collagen, Zeichnen oder mit Lego zu bauen. Die kreativen Produkte sind in die Darstellung der Ergebnisse eingeflossen.

Das Testen wurde im kompakten Workshopformat nicht mehr durchgeführt. Es hat sich aber gezeigt, dass die Forschungswerkstätten auch über die Erhebung hinaus den weiteren Austausch zu den eigenen Bedürfnissen oder (politischen) Themen in den Gruppen angeregt haben. Und dies, obwohl es für einige Teilnehmende zu Beginn schwierig war, sich in der Gruppe zu äußern.

 

  Literatur

[1] Brüggen, N. & Schober, M. (2020). Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Self-Tracking im Freizeitsport: Explorative Studie im Rahmen des Projekts „Self-Tracking im Freizeitsport“, S. 11

[2] Brüggen, N., Dirr, E., Schemmerling, M. & Wagner, U. (2014). Jugendliche und Online-Werbung im Social Web, S. 14

[3] Anselm, S. & Weigand, A. (2023). Design-Thinking: Außerhalb der Box denken, S. 2 Online abrufbar unter: https://www.bne-box.lehrerbildung-at-lmu.mzl.lmu.de/design-thinking/

[4] Kohrs, J.‑T., Müller, U. & Nees, D. (2017). Design Thinking. In U. Müller, M. Alsheimer, U. Iberer & U. Papenkort (Hrsg.), methoden-kartothek.de: Spielend Seminare planen für Weiterbildung, Training und Schule. 5. Nachlieferung (S. 1–5). wbv media, S. 2. Online abrufbar unter: https://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/phlb/hochschule/fakultaet1/bildungsmanagement/Bildungsmanagement/06_Design_Thinking/AS_design_thinking.pdf

[5] Brüggen, N., Dirr, E., Schemmerling, M. & Wagner, U. (2014). Jugendliche und Online-Werbung im Social Web, S. 15

  Links

Methodenbeispiel für Design Thinking in der BNE: https://www.bne-box.lehrerbildung-at-lmu.mzl.lmu.de/design-thinking/

  Zitationsvorschlag

Pfaff-Rüdiger, S., Oberlinner, A., Eggert, S. & Winter, C. (2024). Das bewegt uns – Forschungswerkstatt als Design-Thinking-Prozess. Mit Jugendlichen über Werte, Meinungsbildung und Beteiligung ins Gespräch kommen. Herausgegeben vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Abrufbar unter: https://das-bewegt-uns.de/design-thinking
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