Zwischen Überlastung und Verantwortung

Welche Teilhabemöglichkeiten sehen Jugendliche?

 

Die nachfolgenden Ergebnisse stammen aus vier Forschungswerkstätten, die im Herbst 2023 mit insgesamt 40 Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren durchgeführt wurden:

  • Gruppe 1 (SMV): Jugendliche aus München, die sich in der Schülermitverantwortung engagieren
  • Gruppe 2 (FJ): Feuerwehrjugend in einem oberbayerischen Dorf
  • Gruppe 3 (FA): Film-AG in Schwaben
  • Gruppe 4 (GK): 11. Klasse eines ländlichen Gymnasiums in Mittelfranken

Ergänzend sind in diesen Text Aussagen von Jugendlichen aus vier 10. Klassen eines Münchner Gymnasiums eingeflossen, die im Rahmen eines Filmprojektes (FP) ebenfalls mit uns über ihre Werte, Themen, Meinungsbildung und Teilhabemöglichkeiten gesprochen haben.

Wie kann ich Verantwortung übernehmen, wenn ich schon überlastet bin?

Viele Jugendliche verspüren den Wunsch, sich aktiv an der Gesellschaft zu beteiligen und Verantwortung für sich und Andere zu übernehmen. Gleichzeitig müssen sie aber mit vielen Belastungen und Herausforderungen im Alltag umgehen: Schule wird als enormer Stressfaktor wahrgenommen und teilweise auch für mentale Probleme verantwortlich gemacht. Krieg, Corona und Inflation beschäftigen die Jugendlichen zusätzlich zur Dauerherausforderung Klimawandel. In der Folge fühlen sich viele Jugendliche überfordert und es fehlt ihnen an Selbstwirksamkeitserfahrungen.

Schule – zwischen Stress und Zukunftsaussichten

Für die befragten Jugendlichen ist Schule mit sehr viel Stress und Belastung verbunden. Sie berichten von Notendruck, langen Nachmittagen im Klassenzimmer, ungerechter Benotung (siehe Bild) und hohen Ansprüchen von Lehrer*innen und an sich selbst. Marcel fasst seinen Tag folgendermaßen zusammen:

„Gestern [war ich] bis 16:00 Uhr in der Schule. Ich bin dann nach Hause gegangen, habe Sport gemacht, bin wieder nach Hause gegangen, habe für das Fach Deutsch gearbeitet und dann musste ich schon wieder schlafen. Wir hatten in dieser Woche drei Mal lange Unterricht und dann ist die Zeit begrenzt und man kann sich um nichts richtig kümmern“ – Marcel, 16, GK.

Den Jugendlichen fehlt es nicht nur an Freizeit. Einige leiden auch am Stress, der zu gesundheitlichen Problemen führt: „Es ist all das zusammen, Noten, die Lehrer, die Klasse. All das“, sagt zum Beispiel Chiara (14, FA). Besonders schlimm ist es, wenn die Jugendlichen gleichzeitig das Mitgefühl der Lehrkräfte für die eigene Situation vermissen:

„[D]en Lehrern geht es nur darum, dass sie  [mit dem Stoff] bis zum Ende des Schuljahres fertig werden“ ​- Isabel, 15, FA.

Gleichzeitig erkennen die Jugendlichen aber auch an, dass Schule notwendig ist, um später Perspektiven zu haben. Sie wünschen sich einen guten Job und ein sicheres Einkommen und sehen eine gute Ausbildung als Schlüssel für diese Träume:

„Ich finde im Allgemeinen so Geld und Bildung, allgemein Bildung ist ehrlich wichtig. Weil ohne Bildung kommt man nirgendwo hin und wenn man keine Bildung hat, dann hat man auch kein Geld. Wenn man kein Geld hat, kann man sich nichts leisten. Wenn man sich nicht leisten kann, dann Tschüss“ ​ – Zenia, 16, SMV​.

Dadurch erklärt sich, dass die Schüler*innen insgesamt hohe Ansprüche an sich selbst und ihren schulischen Erfolg haben und bereit sind, viel dafür zu tun. In ihrem Dokumentarfilm hat die Film-AG gemeinsam mit Gleichaltrigen nach Lösungen gesucht. Erstaunlich ist dabei: Sie nennen nur Lösungsvorschläge, die bei Kindern und Jugendlichen selbst ansetzen: Sie könnten sich stärker am Unterricht beteiligen, mehr Fragen stellen, frühzeitig mit dem Lernen beginnen, einen Zeitplan erstellen oder Lehrkräfte bitten, auf unangekündigte Tests zu verzichten. Der Druck – und die Verantwortung – lastet damit in ihrer Wahrnehmung allein auf den Jugendlichen selbst.

Selbstwirksamkeit als Schlüssel zur Teilhabe

Jugendliche erleben sich nur dann als selbstwirksam, wenn sie das subjektive Vertrauen haben, neue oder schwierige Herausforderungen bewältigen zu können. Diese Überzeugung beeinflusst ihr Handeln maßgeblich: Sie bestimmt, welche Handlungsoptionen sie wählen, wie sie diese umsetzen und welche Anstrengungen sie beibehalten. Vorbilder und Rückmeldungen können dazu beitragen, das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken. Je optimistischer Jugendliche sind und je erreichbarer ihnen ihre Ziele erscheinen, desto mehr nehmen sie sich als selbstwirksam wahr. Dies wirkt sich wiederum positiv auf ihren Selbstwert und ihre Fähigkeit, Ziele setzen zu können, aus.[1]

Allerdings fehlt es vielen Jugendlichen aufgrund der unsicheren Weltlage und der erfahrenen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie an Selbstwirksamkeitserfahrungen, was sich in einer gewissen Hilflosigkeit und Frustration widerspiegelt: Alleine schätzen sich die Jugendlichen als wenig selbstwirksam ein und bezweifeln so, dass Partizipation überhaupt einen Impact hat. Die Collage, die Isabel (15) und Helene (13) in der Forschungswerkstatt der Film-AG erstellt haben, vermittelt dieses Gefühl, allein nur wenig bewirken zu können (siehe Bild).

 

Auch Zenia schätzt es so ein:

​„Man kann nicht wirklich viel machen als einzelne Person“ ​- Zenia, 16, SMV.

Hinzu kommt, dass selbst den Jugendlichen aus der SMV-Gruppe, die sich stark politisch engagieren, die Hände gebunden sind, wenn sich Erwachsene über Regeln hinwegsetzen:

„Wenn da irgendjemand jeden Urlaub oder jedes Wochenende nach mit seinem Privatjet nach Sylt fliegt, kann ich im Endeffekt nichts mehr dagegen tun. Da kann ich politisch dagegen handeln, so wie ich es nun einmal kann und ich kann sagen, dass es Quatsch ist. Ich kann sagen: „Liebe Politiker*innen, bitte verbietet es.“ Ich kann ihn aber nicht aus seinem Privatjet zerren“ – Bela, 18, SMV.

Gerade gegenüber älteren Generationen fühlen sich die Jugendlichen oft nicht ernst genommen und kritisieren zusätzlich, dass die ältere Generation die Verantwortung für den Klimawandel den Jugendlichen überlässt:

„Die [Älteren interessiert] das nicht, weil die dann bereits tot sind. Es ist unser Problem“ – Jannes, 17, GK.

Zwischen Memes und Dorfladen

Die eigenen Beteiligungsmöglichkeiten nehmen die Jugendlichen sehr unterschiedlich wahr: Jüngere erleben Gespräche über Politik als anstrengend, bildungsferne Jugendliche zweifeln an, ob diese etwas bringen. Wer sich, wie die SMV-Gruppe schon in politische Prozesse eingebracht hat, bewertet die Wirksamkeit von Demonstrationen und dem eigenen Engagement in der Schule deutlich niedriger als die anderen Befragten. Auffällig ist, dass insbesondere Memes als wirksam gleichzeitig aber auch als anspruchsvoll in der Entstehung eingeschätzt werden:

„Hat man eine Idee, ist es Glück oder vom Algorithmus abhängig, ob diese Idee oder das Meme viel Aufmerksamkeit bekommt“ – Marcel, 16, GK.

In der Kreativphase haben sich einige Jugendliche auch selbst an Memes probiert und stellen fest, dass die Umsetzung nicht leicht ist. Loris (14, FK) ist mit seinem Ergebnis nicht zufrieden, es sei mehr „ein Plakat“ als ein Meme und ihm fehlt „noch etwas Ironisches“.

Je näher ein politisches oder gesellschaftliches Problem am Alltag der Jugendlichen ist, desto eher sind sie bereit, sich zu engagieren. Die Jugendlichen aus der Feuerwehr wünschen sich beispielsweise einen eigenen Dorfladen, um im Alltag nicht ins Nachbardorf zum Einkaufen fahren zu müssen. In der Forschungswerkstatt haben sie mit einem selbstgebauten Lego-Modell darauf aufmerksam gemacht und eine Unterschriftenaktion geplant, mit der sie das Projekt umsetzen wollen.

Insgesamt zeigt sich, dass sich die Jugendlichen Alltagsanforderungen überlastet fühlen und weitere Verantwortung zusätzlich überfordert. Insbesondere die Schule wird als große Herausforderung mit viel Druck empfunden, dem sie sich allein stellen müssen. Auch aufgrund der Erfahrungen aus der Corona-Pandemie fehlt es oft an Selbstwirksamkeitserfahrungen und damit an einer Voraussetzung für aktive Partizipation, weshalb Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten weniger bei den Jugendlichen selbst, als in der Politik und bei den älteren Generationen gesehen wird. Engagement kann je nach Gruppe unterschiedlich aussehen und bewertet werden, dabei gilt: Je näher ein Problem am Alltag der Jugendlichen dran ist, desto höher die Bereitschaft, sich zu engagieren. Für ein positives Gefühl für die Zukunft gibt es den Wunsch nach einer Gemeinschaft und Solidarität, um gesellschaftliche Veränderungen gemeinsam zu bewältigen.

  Literatur

[1] Barysch, K. N. (2016). 18 Selbstwirksamkeit. In D. Frey (Hrsg.), Psychologie der Werte: Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie (S. 478–503). Wiesbaden: Springer.

  Links

Dokumentarfilm der Film-AG: https://das-bewegt-uns.de/schulstress-wir-fragen-nach/

  Zitationsvorschlag

Oberlinner, A., Wächter, A., Pfaff-Rüdiger, S., Eggert, S. & Winter, C. (2024). Das bewegt uns – Zwischen Überlastung und Verantwortung. Welche Teilhabemöglichkeiten sehen Jugendliche? Herausgegeben vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Abrufbar unter: https://das-bewegt-uns.de/ueberlastung/
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